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Wenn Pillen sich vom Acker machen (FA -Sonntag)

Wenn Pillen sich vom Acker machen (FASonntagsZ; GeNPost)
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
2. Februar 2003, Nr.5
Seite 49, Wissenschaft
Wenn Pillen sich vom Acker machen
Die neueste Generation von Genpflanzen soll Medikamente liefern. Was
passiert, wenn sie in die Nahrung gelangen?
VON VOLKER STOLLORZ
AmSTERDAM. «Bananen gegen Aids!»; «Blutgerinnungsfaktor aus der Sojabohne»;
«Petunien liefern Pillen!» So oder ähnlich könnten Schlagzeilen über die
grüne Gentechnik von morgen lauten. In den Biolabors wird inzwischen an der
dritten, vierten und fünften Generation transgener Pflanzen gearbeitet. Ob
die ehrgeizigen Pläne sich verwirklichen lassen, ist ungewiß. Sicher ist
nur, daß es Protest dagegen geben wird. Denn der hat die grüne Gentechnik
von Anfang an begleitet.
In Amsterdam trafen sich vor kurzem auf Einladung der European Science
Foundation E xperten, um mögliche Risiken beim Freilandanbau von Genpflanzen
zu diskutieren. Sie sind weltweit auf dem Vormarsch. Größer als Deutschland
ist inzwischen die Ackerfläche, auf der gentechnisch veränderte Nutzpflanzen
angebaut werden. Immer mehr Länder genehmigen den kom merziellen Anbau von
Genmais, Gensoja oder Genraps. Die restriktivsten Gesetze gelten dabei in
Europa.
Das ärgert vor allem die amerikanische Biotech-Lobby. Sie sieht darin eine
Wettbewerbsverzerrung und einen Verstoß gegen die Bestimmungen der
Welthandelsorganisation WTO. Als einige vom Hunger geplagte Länder Afrikas
unlängst kostenlose Lieferungen von Genmais «Made in USA» zurückwiesen und
statt dessen europäische Ernten orderten, platzte dem US-Handelsbeauftragten
Robert Zoellick der Kragen. Das faktisch seit 1998 bestehende europäische
Zulassungs-Moratorium sei schlicht «unmoralisch». Der alte Kontinent
verhalte sich wie eine Bande «technikfeindlicher Ludditen».
EU-Handelskommissar Pascal Lamy wies die Vorwürfe vergangene Woche zurück.
In Newsweek erläuterte er die Gründe für die europäische Vorsicht. Die
Politik der EU sei nicht protektionistisch, sondern schlicht orientiert an
«legitimen Sorgen der Verbraucher». Von Lebensmittelskandalen in Serie
gebeutelt, balancieren die EU-Politiker tatsächlich auf dem Drahtseil. Zwar
ist selbst der grünen Verbraucherministerin Renate Künast klar, daß früher
oder später gentechnisch veränderte Pflanzen auf Europas Ackern wachsen
werden. Trotzdem lautet das Credo in Brüssel: Erst regulieren, dann
zulassen.
Deutlich wird die Verzögerungstaktik beim geplanten «umfassenden
Umweltmonitoring», das alle EU-Länder laut neuer Freisetzungsrichdinie in
nationales Recht umsetzen müssen. Jeder weiß, daß eine anbaubegleitende
Umweltbeobachtung teuer ist. Also wird verhandelt und verzögert nach
Kräften. Vertrackt ist auch die Forderung, daß Öko- und Genbauern ihre Ernte
streng getrennt einfahren sollen, um eine «friedliche Koexistenz» zu
erhalten. Erst kürzlich wurde dazu in der EU ein Schwellenwert von 0,9
Prozent für kennzeichnungspflichtige «Verunreinigungen» im Saatgut
festgesetzt. Da aber Pollen von Mais- und Rapsfeldern kilometerweit fliegen
können, dürfte die kleinräumige EU-Landwirtschaft vor erheblichen
praktischen Problemen stehen.
Die ökologische Risikoforschung transgener Pflanzen hat inzwischen gezeigt,
daß Erbgutabschnitte aus Genpflanzen zwangsläufig umherwandern. Mais- oder
Rapspollen werden nicht nur vom Wind, sondern auch durch Vögel oder Insekten
verfrachtet. Außerdem kann sich transgenes Saatgut nach der Ernte
unbeabsichtigt mit konventionellen Körnern vermischen, manchmal sogar auf
abgeernteten Feldern überwintern.
Auch das, was die Ökologen «GenFlow» nennen, also die Ubertragung einzelner
Genabschnitte in verwandte oder verwilderte Pflanzenpopulationen, scheint
nach heutigen Erkenntnissen eher die Regel als die Ausnahme. Von den 14
weltweit wichtigsten Kulturpflanzen haben 13 irgendwo auf der Welt schon
Gene mit wilden Verwandten ausgetauscht. Mais, Zuckerrübe, Hirse, Weizen,
Raps – alle, mit Ausnahme der Erdnuß, kreuzen sich mit wilden Verwandten.
«Man kann nicht verlangen, daß transgene Pflanzen keinen Sex haben»,
resümiert Detlef Bartsch vom Robert-Koch-Institut in Berlin den
Wissensstand.
Bei den in Amsterdam versammelten Experten herrschte weitgehend Konsens, daß
das Auftauchen eines fremden Gens in einer Wildpflanzenpopulation nicht
schon per se als Verstoß gegen die «evolutionäre Integrität» zu werten sei,
wie einige Umweltschützer fordern. «Genfluß an sich ist kein Schaden», sagt
Bartsch, «sondern ein evolutionäres Phänomen und daher nur eine Komponente
in der Risikobewertung.» Nur auf jenen Arealen, wo Genfluß tatsächlich mit
hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, sollten Biologen die möglichen
Folgen sorgfältig im Auge behalten. Wer allerdings Veränderungen der Flora
und Fauna messen will, muß zunächst wissen, was dort alles wächst und
krabbelt. Bartsch rät der Politik beim Umweltmonitoring daher zum
Pragmatismus: «Lieber an wenigen Standorten langjährig beobachten, dort aber
intensiver.»
Wie mühsam das Erheben selbst sirnpler biogeographischer Daten sein kann,
zeigte der Vortrag des britischen Botanikers Alike Wilkinson. Er erstellt
zur Zeit eine Karte Großbritanniens, auf der verzeichnet sein soll, wo und
wie oft sich Genraps mit seinen wilden Verwandten wohl kreuzen könnte. Dazu
sammelt er Basisdaten mit Hilfe von GPS-Satelliten, unternimmt mit einem
Team umfangreiche Wanderungen mit der Botamsiertrommel und versucht auf
diese Weise, sämtliche Bestände wilder Rapsverwandter entlang der
südenglischen Flüsse zu lokafisieren. Nur so lasse sich zuverlässig
berechnen, wie oft es in der realen Welt zum Sex zwischen transgenem Raps
und seinen wilden Verwandten kommt und wie überlebenstüchtig diese
Kreuzungen sind.
Doch selbst wenn manipulierte Rapsgene auskreuzen würden – was wäre daran
überhaupt problematisch? Der US-Botaniker Norman Ellstrand von der
University of California in Riverside hat dazu einen historischen Vergleich
angestellt. Ständiger Genfluß zwischen Kultur- und Wildpflanzen erfolge,
anders als früher gedacht, in der Regel «häufig über weite Entfernungen und
in hoher Frequenz». Fakt sei aber auch, daß dieser Pflanzensex die
genetische Vielfalt über Jahrhunderte hinweg eher gesteigert als verringert
habe. Eine seltene Ausnahme sei das Beispiel der Kokospalme. Wilde
Kokospalmen sind inzwischen ausgestorben, Kulturpflanzen haben sie völlig
verdrängt. Zu den möglichen Folgen regulären Genflusses zählt Ellstrand das
gelegentliche Entstehen neuer Unkräuter. Zu rechnen sei in den nächsten fünf
Jahren mit dem Auftreten erster Vertreter, die Resistenz gegenüber
Unkrautvernichtungsmitteln durch Genfluß aus Kulturpflanzen erworben haben.
Solche transgenen Unkräuter würden sich aber nicht wie «Killertomaten oder
Superunkräuter» verhalten, sondern wie ihre konventionellen Verwandten –
«eben wie Unkräuter».
Was dieser künstliche Selektionsdruck für die moderne Landwirtschaft
bedeutet, erleben zur Zeit die US-Farmer. Auf 75 Prozent ihrer Sojabohnen
Anbaufläche pflanzen sie bereits herbizidresistenten Gensoja an. Gegen
mindestens vier hartnäckige Unkräuter, darunter neuerdings auch das
tückische Kanadische Berufskraut, büßt das eingesetzte Herbizid
Roundup-Ready inzwischen an Wirkung ein. Ellstrands Fazit: Die Natur sei
auch ohne Gentechnik erfinderisch, wenn der Mensch sich entsprechend
verhält.
In Amsterdam kam gegen Ende der Tagung ein anderes Problem zur Sprache.
Ernste Sorgen bereitet den Ökologen nämlich die neueste Welle grüner
Genpflanzen. Von ihr sollen die Verbraucher ganz direkt profitieren:
Nutzpflanzen sollen zu Arzneimittel oder Industrierohstoffe umfunktioniert
werden. Das klingt zunächst verlokkend. «Man-made bioengineered
pharmaceutical plants» lautet das Stichwort. Gleich zwei Dutzend
Biotechfirmen setzen in den Vereinigten Staaten auf geheimen Versuchsfeldern
ihre ersten Kreationen frei. Angeblich sollen schon über dreihundert
Freilandversuche mit Arzneipflanzen stattgefunden haben.
Auf einer Pharma-Konferenz im vergangenen Sommer hatte Norman Ellstrand
erstmals sein «Worst-case-Szenario» präsentiert. Extreme Vorsicht empfahl
der Botaniker damals vor allem bei der Auswahl der Arzneimittelpflanzen.
Gewächse, die viele Samen produzieren oder deren Pollen vom Wind oder
Insekten leicht in andere Felder getragen werden können, seien unbedingt zu
meiden. Auch sollten die Gentechniker besser die Finger lassen von
Nutzpflanzen, die weltweit angebaut und gegessen würden. Als Höhepunkt
seines Vortrags präsentierte Ellstrand das Dia jener Pflanze, die
Biotechnologiefirmen unter keinen Umständen pharmazeutisch aufrüsten
sollten. Es zeigte einen Maiskolben. «Sofort gab es einen Aufschrei, die
Pharmamanager waren schlicht sprachlos», erinnert sich Ellstrand. Denn alle
im Saal wußten: Mais dient derzeit in zwei Dritteln aller Freilandversuche
als Arzneifabrik der Wahl. «Stellen Sie sich vor, solches Saatgut oder
Pollen würde unerkannt in zum Verzehr vorgesehene Maissorten eingekreuzt»,
warnt Ellstrand. Das Risiko einer Verunreinigung menschlicher Nahrungsmittel
sei «schlicht unvermeidbar».
Wer sich die Vorfälle der vergangenen Monate anschaut, wird den Warnungen
der Ökologen zustimmen. Im Dezember 2002 zahlte die Firma Prodigene 2,5
Millionen Dollar Strafe, weil Reste von Pharma-Mais ein Sojabohnenfeld
verunreinigt hatten. Zwar war der Skandal publik geworden, die Ernte wurde
von den Behörden verbrannt und die Branche inzwischen zu verschärften
Sicherheitsmaßnahmen verdonnert. Was aber wäre, fragt Ellstrand, wenn einige
Maiskörner von ahnungslosen Bauern nach Mexiko eingeführt worden wären und
sich dort nun über Jahre in den heimischen Landrassen vermehren würden?
So unwahrscheinlich das Ausbreitungsszenario auch klingt: Jeder einzelne
Schritt hat in Wirklichkeit schon stattgefunden. Bei den Okologen in
Amsterdam gab es nach Ellstrands Vortrag keinen Aufschrei, sondern nur
Kopfschütteln. Das Urteil der versammelten Forscher war einhellig. Wer Mais
zur Pharmapflanze umbaue, müsse «dringend selbst zum Arzt». Es sei «schlicht
Wahnsinn», was einige US-Biotechfirmen im Freiland riskierten, ärgerte sich
der Brite Jeremy Sweet, Mitorganisator der Tagung und eigentlich ein Freund
von Genfood.
Da ist er, der nächste Konflikt zwischen den USA und Europa.